Off 7,9
„Ich, Johannes, sah: eine große Schar
aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen;
niemand konnte sie zählen.“
An diesen Worten blieb ich hängen: ein Traumbild, dass doch so wünschenswert wäre: eine Schar aus allen Nationen und Sprachen. Alle Menschen dieser Welt vereint.
Gerade in diesen Tagen wird es uns schmerzhaft bewusst, wie tief Gräben sein können und auch wieder werden – auch, wenn es oberflächlich so aussah, als wäre alles in Ordnung. Und es ist ja nicht nur der Ukrainekrieg: heute wurde eine Studie veröffentlicht über den real existierenden Rassismus in Deutschland, und das 90 % zwar glauben, dass es ihn gibt, 45 % aber meinen, es würde da zu viel übertrieben und 52 Prozent halten Betroffene für zu ängstlich.
Schizophren? Die Vision des Johannes ist sicher keine für unsere reale Erde. Aber sie führt – für mich – dazu, darüber nachzudenken, wie es denn mit Schubladen in meinem Kopf bestellt ist: habe ich Vorurteile, wenn jemand nur gebrochen Deutsch spricht? Wenn jemand anders aussieht, einen fremdklingenden Namen hat? Oder geht es mir immer nur um den Menschen an sich? Wenn ich möchte, dass diese Vision Wirklichkeit wird, dann muss ich bei mir anfangen und überprüfen, ob nicht auch ich Vorbehalte habe, die sich an Äußerlichkeiten festmachen. Und ich muss mir darüber im Klaren sein, dass ich als weiße deutsche Frau Privilegien habe, die andere eben nicht haben: damit ich genauer hinschauen und Missstände beseitigen kann, wo sie mir begegnen. Nur wenn wir anfangen, niemanden mehr nach äußeren Kriterien wie Hautfarbe, Sprache oder Namen zu bewerten kann eine solche Schar die Menschheit der Zukunft sein.