LK 6, 44
„Denn jeden Baum erkennt man an seinen Früchten:
Von den Disteln pflückt man keine Feigen
und vom Dornstrauch erntet man keine Trauben.“
So ist es. Allerdings braucht man dazu Geduld: Stellen Sie, stellt Ihr Euch vor, ein Baum im Winter. Wer nicht genau an der Rinde oder Verästelung erkennen kann, was es ist, wird auch nicht wissen, welche Früchte dieser Baum bringt.
Ob er überhaupt noch mal ausschlägt, ob er nicht vielleicht längst tot ist, oder ob er zwar ausschlägt aber keine Früchte bringt: Das festzustellen braucht es einen langen Atem: man wartet vielleicht auf die ersten Blätter, bei manchen Bäumen erst im Mai zu erkennen, dann auf die Blüten, und erst, wenn die Früchte da sind, kann man erkennen ob sie gut sind oder vielleicht von Würmern durchsetzt, angefault oder was auch immer.
Es dauert also.
Und ich denke, genau das gilt auch für Menschen. Oft wollen wir auf den ersten oder zweiten Blick einschätzen können, ob jemand gut oder böse ist. Gerade in diesen Tagen ist der Wunsch, die Welt schwarz/sehen zu können, groß: Impfgegner böse, Geimpfte gut oder, aktueller: Russland, China wohl auch, böse, USA, EU, NATO gut. Nicht, dass ich falsch verstanden werde: ein militärischer Angriff auf einen souveränen Staat ist durch nichts zu rechtfertigen. Aber abseits dieser Tragödie, durchaus aber auch in ihrem Umfeld, gilt es, genau hinzuschauen und dort, wo man (noch) nichts erkennen kann, abzuwarten, was sich mit der Zeit so zeigt: Auf dem Altar des Krieges wird als erstes die Wahrheit geopfert, heißt es. Versuchen wir dazu beizutragen, dass die Wahrheit nicht ganz verschwindet: und dazu gehört auch, nicht vorschnell zu (ver)urteilen. Friede fängt in unseren Köpfen an – und in unserem Umfeld. Wenn uns das gelingt, kann er sich weiterverbreiten.